Tesserae researcher and activist Luis Miguel Benavides shares an open letter against the catastrophal cuts in Berlin's cultural scene
[ENGLISH VERSION BELOW]
Kultur gegen Vielfalt und Inklusion – Kürzungen in der Berliner Kulturszene
Liebe Berlin,
ich habe dich geliebt und liebe dich noch immer aus tiefstem Herzen.
Wie jede Liebe begann auch unsere mit einem Funken und einem Versprechen.
Dem Versprechen, solidarisch und ungehorsam zu bleiben,
Besonders in Zeiten des Krieges, besonders in Zeiten der Armut.
Ich möchte glauben, dass ich dir zumindest einen Teil jener Liebe zurückgegeben habe,
Mit der du mich bei meiner Ankunft so verzaubert hast.
Zuerst mit Leidenschaft und Unbändigkeit,
Und im Laufe der Zeit verwandelt in Gesten der Zuneigung und des gemeinsamen Fürsorgens—
In stillen Sonnenuntergängen an deiner Seite, einfach nur im gegenseitigen Beisammensein,
Und in durchwachten Morgenstunden, in denen ich deine Straßen reinigte,
Als ob wir den Schlaf der Stadt selbst hinwegwischten..
Du warst nie die perfekte Bühne, und das habe ich auch nie verlangt.
Es war vielmehr in der Unvollkommenheit,
Wo wir in all unserer Vielfalt von Herkunft, Überzeugungen, Identitäten, Materialien und Körpern
Eine Liebe fanden, die über das flimmernde Bild der ersten Verliebtheit hinausging.
Es war in den Widersprüchen, wo wir atmen konnten.
Wo wir all die Stimmen hören konnten,
Die systematisch zum Schweigen gebracht werden,
Und die mit der Kraft eines Sturms widerhallten.
Wo wir in der Differenz Gemeinsamkeiten fanden
Und Wege schufen, um die Gewalt und den Hass, die uns entgegenschlugen, umzuleiten.
Damit dieser Hass sich nicht wie Teer in unseren Eingeweiden festsetzt,
Wie er die Wurzeln unserer Bäume versiegelt,
Sondern aus der Dunkelheit deiner Höhlen herausfließen kann,
Verwandelt in traumhaften Klang.
Am 22. November hat die „große Koalition“ aus SPD und CDU katastrophale Haushaltskürzungen für die Stadt Berlin angekündigt. Kürzungen in den verletzlichsten Bereichen, die schon jetzt unter prekären Bedingungen arbeiten, und die nun sehen müssen, wie ihre Arbeitsplätze womöglich ganz verschwinden. Einsparungen bei der Sanierung von Schulgebäuden, Kürzungen bei Theatern, bei Jugendzentren und Frauenhäusern. Kürzungen bei unabhängigen künstlerischen und kulturellen Plattformen – in einigen Fällen um 100 Prozent, wie bei Berlin Mondiale oder der Stiftung für Kulturelle Weiterbildung und Kulturberatung. Netzwerke, die über Jahre mit Sorgfalt und Vertrauen aufgebaut wurden, werden mit einem Federstrich zerstört. Und ebenso Einsparungen in Höhe von 20 Millionen Euro im Bereich Klima- und Umweltschutz, als ob die Rechnung nicht mit Zinsen in der Zukunft beglichen werden müsste.
Diese Kürzungen sind nicht nur katastrophal für die Lebensfähigkeit zahlreicher Initiativen, sondern werden auch wenige Tage vor Jahresende und völlig intransparent durchgeführt. Projekte, die innerhalb weniger Tage ihre Mitarbeiter*innen, meist ohnehin schon prekär beschäftigte Migrant*innen, entlassen mussten, was auch ihre Aufenthaltsrechte in Deutschland gefährdet.
Dieser Angriff auf das soziale Berlin offenbart nicht nur die Ignoranz der großen Parteien gegenüber dem, was Berlin ist und den Fundamenten, auf denen es steht, sondern auch eine Komplizenschaft mit dem Vormarsch der extremen Rechten und eine Delegitimierung grundlegender Rechte wie den Zugang zu Kultur und elementaren sozialen Diensten. In einem Kontext der Polarisierung, in dem uns Kultur ermöglicht, Sprachen jenseits von Gewalt und Hass zu nutzen, ist dies unverzeihlich.
Wir schließen uns dem kollektiven Aufruf an, der in diesen Tagen die Straßen Berlins füllt, die Haushaltspläne partizipativ neu zu verhandeln und diese fatalen Kürzungen unter keinen Umständen zu akzeptieren.
Du kannst dich mit einer Unterschrift beteiligen, dich auf der Straße mobilisieren und deine Solidarität mit all jenen zeigen, die von den Kürzungen betroffen sind.
Denn das Einzige, woran Berlin sparen kann, ist diese politische Klasse, die nie verstehen wird, was es heißt, diese Stadt wirklich zu lieben. Aber sie wahrhaftig zu lieben, wie ein Versprechen, das weit über Geld hinausgeht. Ein Versprechen, dass nichts und niemand das soziale Gefüge dieser Stadt zerreißen kann– es kann nur transformiert werden, weil wir immer einen Weg finden werden, damit unsere Stimmen im Wüstensand widerhallen.
In Liebe,
Luis Miguel Benavides – Tesserae Urban Social Research
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Dear Berlin,
I have loved you and still love you from the bottom of my heart.
Like every love, ours began with a spark and a promise.
The promise to remain in solidarity and untamed,
Especially in times of war, especially in times of poverty.
I want to believe that I’ve given back at least a fraction of the love
You poured over me when I first arrived.
At first, with passion and ferocity,
And, over time, transformed into gestures of care and communal nurture—
In silent sunsets by your side, simply accompanying each other,
And in sleepless mornings, sweeping your streets,
As though wiping away the city’s slumber itself.
You were never the perfect stage, and I never asked you to be.
It was, in fact, in imperfection where we could truly love—
In all our diversity of origins, beliefs, identities, materials, and bodies.
We discovered a love that transcended the shimmering illusion of first infatuation.
It was in the contradictions where we could breath.
Where we could hear all those voices systematically silenced,
Resounding with the force of a storm.
Where, in our differences, we found common ground,
And forged channels to redirect the violence and hatred hurled at us.
So that this hatred would not settle in our guts like the tar
that seals the roots of our trees,
But could instead flow freely from the darkness of your caverns,
Transformed into oneiric sound that illuminates the air like a dream.
On November 22nd, the “great coalition” of SPD and CDU announced catastrophic budget cuts for the city of Berlin. These cuts target the most vulnerable sectors, which already operate under precarious conditions and now face the threat of losing their jobs entirely. Reductions include funding for the renovation of school buildings, cuts to theaters, youth centers, and women’s shelters. Independent artistic and cultural platforms are also severely affected—some, like Berlin Mondiale or the Stiftung für Kulturelle Weiterbildung und Kulturberatung, are facing cuts of 100%. Networks that were carefully built over years with trust and dedication are being wiped out with the stroke of a pen. Additionally, €20 million in funding for environmental and climate protection is being slashed, as if the price for this neglect won’t come due with interest in the future.
These cuts are not only devastating to the viability of countless initiatives but are also being implemented just days before the end of the year, in an entirely non-transparent manner. Projects have had to lay off employees within days—workers who were often already precariously employed, many of them migrants whose residency status in Germany is now at risk.
This attack on Berlin’s social fabric not only reveals the major parties’ ignorance of what Berlin is and the foundations on which it stands but also their complicity in the rise of the far-right. It delegitimizes fundamental rights such as access to culture and essential social services. In a time of polarization, when culture allows us to communicate in ways beyond violence and hate, such measures are unforgivable.
We join the collective call currently filling Berlin’s streets to renegotiate these budget plans in a participatory way and to reject these fatal cuts under all circumstances.
You can take part by signing this petition, joining the protests in the streets, and showing your solidarity with everyone affected by these cuts.
Because the only thing Berlin can afford to cut is this political class—one that will never understand what it truly means to love this city. But to love it genuinely, as a promise that goes far beyond money. A promise that nothing and no one will tear apart the social fabric of this city—it can only be transformed, as we will always find a way to make our voices resonate in the desert sands.
With love,
Luis Miguel Benavides – Tesserae Urban Social Research